Sie haben sich für den kurzen Rundgang entschieden. Sobald Sie auf der linken Seite der Strasse eine Bank sehen, laden wir Sie dazu ein, sich darauf zu setzen und den Blick über einige Häuser des Dorfes schweifen zu lassen. Die meisten Häuser sind in der traditionellen Bauweise errichtet worden, das heisst mit einer Kellermauer aus Natursteinen und Wänden aus massivem Rottannenholz. Sie haben meist schon etliche Generationen überdauert. Die Fassaden sind von der Sonne schwarz gebrannt und nicht bemalt, wie man meinen könnte. Die meisten Häuser wurden für zwei Familien gebaut. Eine wohnte links und die andere rechts. Früher bestanden die Bedachungen ausschliesslich aus Holzschindeln, die mit schweren Steinen belegt und so vor Schäden bei starkem Wind oder Schneestrum gesichert waren. Gerade der Wind kann hier mit solcher Wucht stürmen, dass schon mehrfach Dächer fortgeblasen wurden und an den Häusern Schaden entstand. Ein Haus zu bauen erforderte viel Zeit und Kraft, denn das Holz musste von Hand behauen oder gesägt und oft mit Manneskraft hergeschleppt werden. Das älteste heute noch existierende Haus wurde 1658 gebaut.
Nur neun Jahre später wütete die Pest im Ort. Innerhalb von etwa vier Monaten starb 60 Prozent der Bevölkerung an dieser Seuche. Es ist belegt, dass ein Wohnhaus zwei Jahre ohne Dach blieb, weil alle Männer, die daran gearbeitet hatten, gestorben waren. Es gab zwei Lager: Die Obrigkeit in Interlaken glaubte an eine Ansteckung der Pest und befahl, dass sich Kranke absonderten. Die etwas starrköpfigen und konservativen Bewohner der Täler waren gegen die Obrigkeit und nannten sich «Anitcontagonisten». Sie waren der Überzeugung, dass die Pest eine Strafe Gottes sei und sonderten sich nicht ab, sondern statteten einander noch gerade absichtlich Besuche ab – natürlich mit fatalen Folgen. Nicht nur die Pest liess die Anzahl Bewohner des Dorfes bisweilen schrumpfen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Leute in den hiesigen Bergtälern so verarmt, dass sie in hellen Scharen nach Carolina in die USA auswanderten. So lebten 1873 nur noch 75 Personen in Gimmelwald. In den 1930er Jahren erreichte das Dorf mit etwa 230 Personen die höchste Einwohnerzahl. Wegen der damaligen Wirtschaftskrise war es auch auswärts nicht einfach Arbeit zu finden. Darum machten sich die Familienmitglieder daheim in der Landwirtschaft nützlich. Heute leben wieder weniger als 100 Personen hier. Ganz dem europäischen Trend folgend haben auch hier Paare weniger Kinder als früher. Das Leben auf dem Land, weg von Konsum und Unterhaltung, scheint vielen zudem nicht mehr attraktiv genug. Und so wie in den meisten Touristenorten gibt es leider auch hier zu wenig Wohnraum, der für junge Einheimische erschwinglich wäre. Beachten Sie bitte nun noch einmal den Rottal-Gletscher auf der gegenüberliegenden Talseite. Stellen Sie sich vor, sie müssten mit schweren Geräten und Holzschlitten hinaufsteigen, um Steine aus dem Felsen zu brechen um sie auf den Schlitten wieder zu Tal zu ziehen! – Eine unvorstellbare Anstrengung! So genau war es aber zu den Zeiten im 17. Jahrhundert, als in einem schmalen, eisenerzhaltigen Band rechts unterhalb des Gletschers Eisenoolith gewonnen wurde. Verhüttet wurden die Erze in einem heute noch teilweise erhaltenen Ofen bei Zweilütschinen, das zwischen Lauterbrunnen und Interlaken liegt. Der Transport dorthin dauerte mindestens elf bis zwölf Stunden. Hinten im Tal wurden zudem Bleiglanz und Zinkerz abgebaut und direkt vor Ort verhüttet. Falls Sie mehr darüber erfahren möchten, besuchen Sie doch das bereits erwähnte Talmuseum in Lauterbrunnen. Mit der Gästekarte haben Sie dort freien Eintritt. Zu den Ausstellungsthemen gehören: Wohnen und Arbeiten früher, Klöppelspitzen, Alpküche, Holzbearbeitung, Alpinismus und Tourismus, sowie Eisen-, Bleiglanz- und Kalkgewinnung. Entscheidend für das Aufkommen des Tourismus war unter anderem die Herausgabe eines zweibändigen Werks mit dem Namen «Reise in das Berner Oberland», das der englische Lyriker Lord Byron verfasste. Reiche Fremde kamen hierher, und bisweilen reisten auch reiche Hoteliers von Mürren an die italienische Riviera und bis nach Neapel. Dort blühte der Handel mit weissen Wäschespitzen, was der heimatlichen Heimarbeit enormen Aufschwung verlieh. Nun begannen Frauen, Mädchen und Jungen in ihrer Freizeit im Winter, weisse Klöppelspitzen anzufertigen. Ein eigens dafür geschaffener Verein organisierte Verkauf und Beschaffung der Muster und des Fadens. Ein gesetzlicher Musterschutz bewirkte, dass nur Mitglieder des Klöppelvereins berechtigt waren, diese begehrten, filigranen Muster zu verwenden. Die Arbeiten wurden aber nicht nur durch den Verein vertrieben, sondern sie wurden auch direkt auf der Strasse angeboten. Noch heute gibt es den Klöppelverein, und vor allem ältere Frauen des Dorfes verstehen sich auf diese Kunst. Falls Sie uns an einem warmen Sommertag besuchen, können Sie sich vielleicht nicht gut vorstellen, dass der Winter hier lang und bitterkalt sein kann. Die meisten Häuser werden noch heute mit Holz beheizt, das an den Hauswänden zum Trocknen aufgeschichtet ist. Auf dem neuen Haus auf der rechten Seite sehen Sie Sonnenkollektoren. In der ganzen Schweiz wird die Umstellung auf Heizanlagen mit erneuerbarer Energie durch finanzielle Anreize gefördert, um den Klimaschutz voranzutreiben. Wir setzen unseren Rundgang fort, immer der Strasse folgend, bis Sie die Luftseilbahn-Station wieder erblicken. Zu Ihrer Rechten befinden sich dort ein paar Bänke, und wir erzählen Ihnen etwas über die Berglandwirtschaft.